Ein Souvenir besonderer Art:
Mit einer Phlegmone zurück vom Roten Meer
Zu meinem 40. Geburtstag schenkte ich mir eine Nilkreuzfahrt. Seitdem habe ich das Land am Nil und Roten Meer so oft wie kein anderes außereuropäisches Land besucht, 2017 bereits zweimal: Von meiner letzten Reise Ende November brachte ich ein besonderes „Souvenir“ mit: eine Phlegmone. Das ist keine Anemone, also ein Blumentier, auch keine Korallenart, die den Zoll interessiert, sondern etwas Medizinisches, das im Nachhinein zuhause medikamentös behandelt werden muss.
Ahlan wa Sahlan! Herzlich willkommen!
Ägypten ist nicht nur reich an pharaonischen Kult(ur)stätten. Wasserliebhaber lädt das angenehm warme Rote Meer, eines der besten Unterwasserreviere der Welt, zum Schwimmen, Schnorcheln und Tauchen ein. Imposante Korallenriffe mit den schönsten und buntesten Fischen findet man oft schon am Hausriff seines Hotels. Wer Glück hat, begegnet sogar Wasserschildkröten, Seekühen bzw. Dugongs und Delfinen. Wir sahen im Januar bei unserem ersten Besuch in Marsa Mubarak in der Nähe von Marsa Alam nur eine amputierte dreiflossige Wasserschildkröte und im Sataya Reef eine Schule Spinnerdelfine. Ein Dugong – eine Gabelschwanzseekuh – schwamm uns leider noch nicht über den Weg.
Wüstenfans können auf der Sinai-Halbinsel, die ich erstmals 1981 bereiste, als sie noch zu Israel gehörte (ab 1982 dann wieder zu Ägypten) oder in der Arabischen Wüste entlang des südlichen Roten Meers einen Sternenhimmel bewundern, den es so nur über der Wüste gibt. Oder die Sonne auf- und untergehen sehen bei einer Wanderung vom Katharinenkloster auf den Mosesberg. Im Winter 2001 machte ich eine anstrengende, aber beeindruckende Nachtwanderung auf den Mosesberg und veröffentlichte darüber einen Erfahrungsbericht.
Hideaway an der Red Sea Riviera
Bei unserem ersten Aufenthalt im Januar 2017 hatte ich das „Rohanou Beach Resort und Ecolodge“ für mich entdeckt. Rohano heißt „Straße der Götter“ – so nannten die alten Ägypter eine Handelsroute vom Niltal zum Roten Meer. Die Anlage liegt einsam an der Red Sea Riviera zwischen Wüste und Meer, man kann sich darin nicht verlaufen, dafür im Freien mit Meerblick frühstücken, am Hausriff schnorcheln oder tauchen und auf einer Hängematte relaxen. Das Schöne: Nicht nur Paare machen hier Urlaub, sondern auch Alleinreisende, die ganz easy miteinander in Kontakt kommen können.
Wunde in der Seele
Jede Reise hinterlässt ihre Spuren: in der Seele, im Körper, im Herzen. Von meiner vorletzten Reise nach Ägypten im Januar 2017 kehrte ich mit einer Wunde in der Seele zurück: So viel Plastikabfall und anderen Müll hatte ich in der Wüste, am Strand und im Meer gesehen. Als wollte die Wüste mit der farbigen Vielfalt der Korallenriffe konkurrieren, hängen und krallen sich hier bunte Plastikfetzen an alles, was ihnen gegen den Wind Halt gibt.
Elf Kilometer nördlich des Rohanou liegt die nächst größere Stadt El Quseir (Kleiner Palast, kleine Burg), die älteste Hafenstadt am Roten Meer. Nur wenige Touristen verirren sich hierher, sie ist noch sehr authentisch und auf jeden Fall einen Besuch wert. Es gibt dort nicht nur eine Moschee Shayk al-Farran, sondern auch eine ehemals katholische, heute orthodoxe Kirche und eine stillgelegte italienische Phosphatfabrik. Für die Italiener sollte die Kirche der Heiligen St. Barbara – seit 1964 heißt sie Heilige Jungfrau Maria Kirche – die Phosphatminen beschützen.
El Quseir, älteste Hafenstadt am Roten Meer
Im Rohanou, meinem Refugium zwischen Wüste und Rotem Meer, verbrachte ich – nach einer über zweiwöchigen Erkältung – im November 2017 nochmal eine Woche alleine, um mich zu regenerieren: mit Schwimmen, Schnorcheln, Lesen und gutem Essen. Gebucht hatte ich während meines Siechtums im Bett. Reisen heilt! Auch schon die Vorfreude auf eine Reise ist heilsam.
Wunde am Körper
Gut erholt kam ich Ende November zurück. Dieses Mal jedoch mit einer Wunde an meiner rechten kleinen Zehe. Während ich dies schreibe, erinnert sie mich unter dem Schreibtisch an meine Aktion: Die Blessur hatte ich mir beim Barfußgehen am menschenleeren Strand zugezogen und zwar beim Müllsammeln.
Gleich am ersten Tag nach meiner Ankunft im Rohanou zog ich vom Hausstrand aus los – glücklich, wieder in meinem abgelegenen Hideaway zu sein. Ich hatte nicht geplant, Plastikflaschen, einzelne Latschen, verrostete Blech- und Aludosen aufzulesen, es ergab sich einfach so. Ich mag keinen Unrat, erst recht nicht am und im Meer, ebenso wenig in der Wüste. Ich war so konzentriert bei der Sache, dass ich ganz vergaß, auf meine nackten Füße zu achten. Muschelbruch und abgestorbene Korallen sind nicht nur scharfkantig und gefährlich, sie können auch bakteriell verunreinigt sein. Wenn man sich an ihnen stößt, kann das zu ernsthaften Entzündungen führen, so wie bei mir.
Auf Sansibar war ich schon mal in einen Seeigel getreten, nachdem mich eine Einheimische kurz zuvor angebettelt und dann verflucht hatte, weil ich ihr kein Geld gab. Und in Kalabrien hatte mich im Wasser eine Qualle am Handgelenk erwischt. Durch den frischen Saft eines Aloe-Blattes, das wir aufgeschnitten und auf die Wunde gelegt hatten, hörte das Jucken und Brennen aber schnell wieder auf.
Der Kuss der Koralle
Erst nach meiner Rückkehr ins Rohanou bemerkte ich, dass ich mir meine kleine Zeh so heftig angestoßen und etwas aufgeritzt hatte, dass ich die nächsten Tage nur mit Eisbeuteln an der Zehe frühstücken konnte. In meine rechte Flosse kam ich nur noch mit Mühe. Auch beim Rückflug musste ich weite, bequeme Schuhe tragen. Was ich anfangs für eine schmerzhafte Prellung hielt, war nach meiner Rückkehr eine Woche später immer noch akut. Der Fuß passte in keinen normal breiten Schuh mehr, ohne dass die Zehe beim Gehen schmerzte. Vielleicht war sie gebrochen oder angeknackst, vielleicht sollte ich sie röntgen lassen. Hinzu kam, dass sich gleich nach meiner Rückkehr auch noch ein Herpesbläschen am Mund gesellte, das nur dann auftaucht, wenn meine Immunabwehr geschwächt ist. Wie unten, so oben – und umgekehrt.
Eine Ärztin in einem Notfallzentrum in München diagnostizierte mit einem kurzen Blick auf die geschwollene Zehe eine bakterielle Infektion, eine Zehenphlegmone, die ich mir wahrscheinlich beim Barfußgehen an Korallen, Steinen, Muscheln oder am Müll zugezogen hatte. Die Phlegmone sollte ich über eine Woche lang innerlich mit einem Breitbandantibiotikum und äußerlich mit einer Salbe behandeln. An die Jodsalbe im Reisegepäck hatte ich in Ägypten überhaupt nicht gedacht. Stattdessen hatte ich die Behandlung über eine Woche verschleppt. Ich möchte niemandem das Barfußgehen am Strand oder im Urlaub madig machen. Doch zu viel Übermut tut nicht immer gut.
Äußeres Entmüllen und innere Reinigung
Der Barkeeper im Rohanou wusste nicht gleich, wohin mit meinem großen Müllbeutel, deponierte ihn dann einfach im Hausmüll. Wahrscheinlich wurde er verbrannt oder in der Wüste entsorgt, denn ein flächendeckendes Recyclingsystem wie bei uns gibt es noch nicht.
Im Viertel Mansheyat Nasr im Osten Kairos hat sich eine Müllwirtschaft etabliert, von der schätzungsweise 500.000 Sabbaka, sogenannte Müllmenschen, leben.
Als Vorreiter beim Recycling gilt El Gouna nördlich von Hurghada, rund 170 Kilometer nördlich von El Quesir.
Bei der nächsten, offiziellen Sammeltour mit Mansour und Ebeid, beide arbeiten im Rohanou und schleppten zwei große, bis oben hin gefüllte Abfallsäcke mit mir zurück, trug ich stabile Trekkingsandalen.
Bin ich nun ein Gutmensch? Oder nur umweltbewusst? Oder tue ich das nur aus dem Grund, um ein reines Gewissen zu haben? Es war mir einfach ein Bedürfnis: Warum nicht einen Spaziergang am Strand mit einer nützlichen Aktion verbinden?
Mansour erzählte mir, dass er auch schon mit anderen Gästen Abfall gesammelt habe und dass dies gut sei: nicht nur für das Image des Hotels, sondern vor allem für die Umwelt. Solche Aktionen einzelner Touristen sind zwar nur winzige Tropfen im endlosen Meer, aber sie beruhigen auch die Seele. Äußeres Entmüllen reinigt ebenso innerlich. Wie außen, so innen – und umgekehrt.
Marketing-Idee in Sachen Entsorgung
Ich hätte da noch eine Marketing-Idee, die ich bei meinem nächsten längeren Aufenthalt initiieren und umsetzen würde: Ein Kamel mieten, leasen oder kaufen – zum Beispiel eines aus den Kameltransporten vom Sudan nach Kairo – und mit einer kleinen Gruppe Touristen in die Wüste und an den Strand gehen und Müll sammeln. Die vollen Säcke trägt das Kamel zurück. Zur Belohnung darf jeder sammelwillige Tourist dann einen Ausritt auf einem vierbeinigen Wüstenschiff zum Sonnenuntergang in die Wüste machen oder – wie in unserem Fall – auf einem Pferd. Die inländischen Medien würden höchstwahrscheinlich sogar darüber berichten. Ob das nun positive Auswirkungen hätte, bliebe abzuwarten. Das löst zwar noch lange nicht das Problem des Recyclings, aber vielleicht kommt dadurch trotzdem etwas in die Gänge.
Müll, ein weltweites Phänomen
Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Müll und offene Halden habe ich nicht erst in Ägypten, sondern auch schon auf Inseln wie Zypern, Alonnisos, Pag und in anderen mediterranen Ländern, in Südindien und Marokko etc. gesehen. Immerhin: Marokko hat zum 1. Juli 2016 Plastiktüten verboten. Das Phänomen ist weltweit verbreitet und tritt nur da offen zutage, wo es kein Personal zum Sammeln gibt oder keine Gelder für Personal oder einfach keine Infrastruktur. Auch in der EU gibt es Bestrebungen für eine plastikfreie Zukunft.
Vorbild Bharat Kumar Basnet in Nepal
Es gibt auch positive Beispiele: In Kathmandu habe ich in 2002 selbst erlebt, dass Bharat Kumar Basnet – ein engagierter Unternehmer und Hotelier – jeden Sonntag-Vormittag mit nepalesischen Kindern Müll im Bagmati, der durch Kathmandu fließt, sammelt. In seinem Kantipur Temple House sind Plastikflaschen tabu. Dort gilt seine „No plastic philosophy“. Basnet gilt als Visionär und Pionier des nachhaltigen Tourismus in Nepal und hat mich mit seinem Charisma nachhaltig beeindruckt.
Souvenirs, Souvenirs
Zurück zu meinen „Souvenirs“ aus Ägypten. Die Phlegmone an der Zehe habe ich schon gebührend gewürdigt, ihr wird schon seit einer Woche – so lange arbeiten wir auch schon an diesem Artikel – durch Antiobiotika zu Leibe gerückt. Hoffentlich kann ich bald wieder ohne Schmerz im rechten Schuh gehen. Es heißt: Die Zeit heilt alle Wunden, die körperlichen, seelischen und auch die im Herzen.
Für meinen Kaffee habe ich mir Kardamom und für die Haut ein sinnlich duftendes Sonnenöl mitgebracht, das auch als Parfüm durchgeht. Doch die zwei schönsten Souvenirs haben mir zwei junge Ägypter geschenkt: eine Rose von Jericho, die Auferstehungspflanze aus der Wüste (ob meine echt oder unecht ist, weiß ich nicht und ist mir in diesem Fall auch egal), und eine selbstgemachte Halskette aus gefärbtem Muschelbruch. Der kann nämlich nicht nur für Füße gefährlich sein, sondern ist auch wunderschön fürs Dekolleté. Shukran – Danke! Maasalama – Auf Wiedersehen!
Ägyptischer Bilderbazar