Immersiv – explosiv – transformativ

„Viva Frida Kahlo“ – eine sinnliche Ausstellung

Ich war skeptisch und wollte mir die Ausstellung über Frida Kahlo nicht anschauen, zu viel Medienrummel dachte ich. Die Filmbiographie „Frida“ hatte ich schon vor 20 Jahren gesehen. Doch dann kam an einem tristen Montag im Januar eine Freundin aus Burghausen mit ihrem Freund angereist, drei Stunden Fahrt mit dem Zug bis München, nur um sich „Viva Frida Kahlo. Immersive Experience“ im Utopia anzusehen, und ich begleitete die beiden.

Eine Liebe, die größer als ihr eigenes Leben war

Für mich war es ein sinnliches Eintauchen in die körperlich und seelisch von Schmerz und Leid geprägte Lebensgeschichte der Mexikanerin Frida, die Patriotin, Kämpferin, Künstlerin, Frauenrechtlerin, aber vor allem Liebende war. Ihre Liebe zu dem beleibten Diego Rivera war ihr wichtiger als ihr eigenes Leben. Er war ihr Lebenselixier und ließ sie über ihre eigenen Grenzen hinauswachsen. Selbst ihre Mutter war gegen die Ehe zwischen einem „Elefanten und einer Taube“.

„Wozu brauche ich Füße, wenn ich Flügel zum Fliegen habe?“

Die Ausstellung ist mehr als nur eine exotisch-explosive Präsentation ihrer farbenfrohen Gemälde. Mit insgesamt 130 Bildern ist es die bisher umfangreichste Darbietung ihrer Werke an einem Ort. Sie rührt auch an die Essenz des Lebens und Seins: Wie viel Leid und Schmerz kann ein Mensch ertragen? Und wie geht er damit um? Resigniert er, verfällt er in Depressionen oder nimmt er den Kampf auf mit den Mitteln, die – im Falle Frida Kahlos – Kunst und Malerei waren? Sie wurden zu ihrer Therapie, zu ihrer Transformation.

Ein Leben voller Leiden und Leidenschaft

Frida Kahlo wurde als Magdalena Carmen Frieda am 6. Juli 1907 in Coyoacán in Mexiko-Stadt geboren und wuchs dort auf. Sie war die Tochter eines gebildeten mexikanischen Fotografen deutscher Herkunft und einer analphabetischen Hausfrau, einer Mestizin. Ihr Vater war stolz auf seine Tochter, glaubte, dass sie ihm nachkomme und führte sie in die Kunst des Fotografierens ein. Ihren Namen und ihr Geburtsjahr änderte sie später auf 1910, das Jahr der Mexikanischen Revolution.

„Ich male mich, weil ich viel Zeit allein verbringe und mich am besten kenne.“

Frida malt keine surrealen Träume, sondern ihre eigene Realität, ihre Schicksalsschläge: Kinderlähmung, ein Busunglück, bei dem ihr Becken von einer Stahlstange durchbohrt wird und sie ans Bett fesselt. Sie lernt, mit einem Stahlkorsett zu leben und wieder zu laufen, bis ihr rechter Unterschenkel amputiert wird und sie in einem Rollstuhl sitzen muss. 32 Operationen lässt sie über sich ergehen. Um ihre körperlichen Schmerzen zu vergessen, sie nicht spüren zu müssen, raucht sie viel, trinkt und nimmt Drogen.

Sie ergibt sich nicht in ihr Schicksal, sie sieht sich nicht als Opfer. Sie greift zu Pinsel und Farben und malt (um) ihr Leben: vor allem sich selbst, Indigene, Frauen, Blumen – ihre Blutstropfen verwandeln sich in rote Blumen – und immer wieder Diego, die Liebe ihres Lebens, den 20 Jahre älteren Lebensgefährten, der notorisch fremdgeht, sogar mit ihrer eigenen Lieblingsschwester, was ihr das Herz bricht. Sie hat zwei Fehlgeburten, bleibt kinderlos, heiratet Diego nach einer Scheidung ein zweites Mal. Sie selbst hat auch Affären, mit dem russischen Marxisten Leo Trotzki und sogar mit berühmten Frauen wie Josephine Baker oder der mexikanischen Sängerin Chavela Vargas. Alles zu lesen und zu sehen in dieser immersiven Ausstellung.

Sinnliches Eintauchen in Fridas Lebenswelt

„Immersiv“ – ursprünglich ein Begriff aus dem Bereich der Computerspiele, war mir neu. Ein GIGA-Redakteur erklärt das so: „Das Wort „immersiv“ stammt vom englischen Begriff „immersion“, das auf Deutsch so viel wie „Eintauchen“ oder „Vertiefung in eine Sache“ bedeutet. Das Wort ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und beschreibt den Effekt, den virtuelle oder fiktionale Welten auf den Betrachter haben: Die Wahrnehmung in der realen Welt vermindert sich und der Betrachter identifiziert sich zunehmend mit der fiktiven Welt, er taucht sozusagen komplett in die Scheinwelt ein.“ Vielleicht erklärt das auch den Suchtcharakter von Computerspielen.

Dieses Eintauchen gelingt in der Ausstellung derart subtil, dass ich selbst über mich staunte. Zuerst befand ich mich noch in der Aufrechten, gehend und stehend mit der Kamera und dem Handy in der Hand. Dann, nach etwa einer Stunde, zog es mich – wie ein Sog – zu einem Kissen auf dem Boden. Derer gibt es im großen Projektionssaal einige. Auf ihnen fläzen (altmodisch für „chillen“ :-)) die BesucherInnen und verfolgen entspannt die 360-Grad-Rundumprojektionen an den Wänden, hören der Frauenstimme mit dem mexikanisch-spanischen Akzent zu, die ihre Lebensgeschichte über Lautsprecher erzählt. Sie stöhnt sogar laut und heftig bis zum orgastischen Höhepunkt und alle Bilder virtuell in sich zusammenfallen.

 Mach Liebe, nimm ein Bad, mach wieder Liebe.“

So Frida über ihre Sicht auf das Leben. Grandios, so was von einer Frau zu hören, deren Lust und Lebensfreude noch größer waren als Schmerz und Pein. Die so intensiv lebte, malte, musizierte, dichtete und sang, als hätte sie zwei Leben.

Perspektivenwechsel im Fläzen

Bemerkenswert auch, dass ich bei meinem Rundgang und im Liegen fläzend etliche Videos machte (siehe unten), ohne Hilfsmittel wie Stativ und Mikrofon, so wie im Februar 2022 auf Sansibar, als ich vor lauter Glücksgefühlen, endlich wieder auf dem tropischen Eiland zu sein, aus dem Stehgreif Videos machte.

Das zeugt davon, wie mich die Sprecherin und die virtuellen Bilder in ihren Bann zogen und ich sie hautnah in mich rein ließ. Die Grenzen zwischen mir und der Ausstellung wurden aufgehoben, sie verschwammen. Ich tauchte ein in das Leben dieser emanzipierten, eigenwilligen Frau, spürte ihre unbändige Lebensenergie, ihren Willen zu leben und zu lieben – mit den Mitteln der Kunst und Schönheit.

„Ich habe Schmerz in Schönheit verwandelt,
so habe ich meinem Leben einen Sinn gegeben.“

Mein Fazit: Großes Erzählkino! Erlebenswert!

Ich habe die 1,5 Stunden in der Ausstellung unerwartet genossen und bin beeindruckt von der technischen Leistung ihrer Macher. Vielleicht sollte ich mal nach Mexiko reisen oder mir im Februar das Schauspiel „Frida – Viva la Vida!“ in Stuttgart anschauen…

Viva Frida Kahlo – Immersive Experience, Utopia, München, Heßstraße 132
noch bis Mittwoch, den 8.3. 2023, Tickets bei MünchenTicket

Meine 7 Videos der Ausstellung

4 Gedanken zu „Viva Frida Kahlo“

  1. Ja, das Leben dieser so besonderen, exotischen und exzentrischen Frau ist beeindruckend, mich zu tiefst berührend. Die Bilder wirken und hinterlassen Spuren. Überwältigende Liebe und Leidenschaft. Das Malen wird zur Lebensbewältigung. Eine großartige Video-Installation in einem ungewöhnlichen Rahmen, einer ehemaligen Reithalle! Nicht leicht, sich wieder zu trennen von dieser explosiven Farbenpracht… Verweile doch du bist so schön… ein Erlebnis der besonderen Art.
    Dein Bericht und deine Videos bringen das in bester Form zum Ausdruck!

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    • Ja, Hedi, DIR verdanke ich den Besuch dieser Ausstellung! Du wolltest da unbedingt hin, kamst von Burghausen drei Stunden mit dem Zug angereist und bist am Abend wieder mit dem Zug zurück. Du hattest/hast eine gute Intuition und ich habe mich angeschlossen und bin eingetaucht in die fantastische Welt und Biographie einer außergewöhnlichen Frau. DANKE! Vielleicht sehen wir uns wieder bei der nächsten immersiven Geschichte „Klimts Kuss. Spiel mit dem Feuer“. Wäre schön, würde mich freuen! 🙂

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  2. Hallo Jutta,
    danke für die Videos aus der Ausstellung. So kann ich sinnlich eintauchen in Fridas Welt. Ich habe vor langer Zeit mal ein Buch über sie gelesen. Eine außergewöhnliche Frau mit einer außergewöhnlichen Leidensgeschichte.

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