Seine letzte Reise

„Alles, was er wollte, das tat er“ (Psalm 135,6)
Nachruf auf Peter, mein Freund und „Bruder“

Peter am Strand von Kovalam in Kerala, Südindien, seiner zweiten Heimat. Hier verbrachte er die letzten 20 Jahre glücklich die Wintermonate.

Meine letzte Reise auf den Balkan ist schon eine Zeitlang her. Seither ist einiges passiert, was mich nicht zum Schreiben kommen ließ. Am 15. Februar starb ganz überraschend mit nur 50 Jahren Alexander, dann am 12. März auch noch Peter, einer meiner besten Freunde. Bei Peters Hinübergehen durfte ich mit dabei sein, ich war seine Sterbebegleiterin. Es war meine bisher tiefgreifendste Erfahrung. Erst durch das, was während seines Sterbeprozesses in mir geschah, fand ich im Nachhinein die Kraft, eine Rede für die Abschiedsfeier mit seinen Freunden am 26. März zu schreiben. Lesen Sie selbst meine Abschiedsrede:

Liebe Freundinnen und Freunde von Peter!

Ich möchte eine kleine Anekdote erzählen, weil sie beispielhaft für Peter ist. Es war 1998, vor 25 Jahren, als mich ein langer, gertenschlanker und auffällig gekleideter älterer Mann im Hof der Mensa aus heiterem Himmel ansprach: „Warst Du im WDR-Fernsehen? Ich habe eine junge Frau gesehen, die wie Du aussah und auf einem Rheinschiff über die Loreley und andere Wasserfrauen erzählte.“

Ich war überrascht, weil das stimmte. Der Mann stellte sich mir als Peter vor. Er war der Einzige, der mich damals gesehen und gehört hatte. Und es war meine einzige Einladung ins Fernsehen. Ich hatte 1997/98 ein Buch über „Urkraft Wasser“ geschrieben und wurde auf einem Schiff in Duisburg auf dem Rhein dazu befragt.

So begann es mit Peter und mir, unsere Freundschaft hielt 25 Jahre lang. Sie durchlief Ups and Downs, wie in jeder guten Freundschaft. Wir teilten beide eine große Liebe zu Yoga, Pflanzen, Reisen, Sonne und Wärme, zu spirituellen und anderen schönen Themen. Wie oft saß ich mit ihm in seinem Garten und wir speisten zusammen oder tranken einfach nur indischen Kaffee mit viel Satz. 1-2mal machten wir hier auch Yoga mit Andreas, seinem Yoga-Schüler, der ihm über 15 Jahre treu war und der heute leider nicht bei dieser Feier dabei sein kann, weil er verreist ist.

Peters Garten, ein kleines Paradies. Er hatte einen grünen Daumen. Hier speisten wir in der warmen Jahreszeit. Hier machten wir auch 1-2mal Yoga.

Erst als ich 2011 das erste Mal selbst nach Südindien reiste, akzeptierte mich Peter als spirituell ebenbürtig, obwohl ich schon seit 1989 für spirituelle Magazine gearbeitet hatte. Ja, Peter war eitel und teils auch überheblich, eine Diva, aber ich wusste ihn zu nehmen und er als Älterer mich ebenso.

Einmal ging ich spät abends mit ihm zum Tanzen in eine Disco in der Sonnenstraße. Ich erinnere mich noch, wie ausgelassen er auf „Sex Bomb“ von Tom Jones tanzte. Musik und Tanzen waren sein Leben und seine Leidenschaft.

Als ich Peter im Februar in der Klinik bei den Barmherzigen Brüdern besuchte und er noch sprechen konnte, erzählte er mir ein letztes Mal aus seinem schillernden Leben, wen er schon in jungen Jahren auf Sylt kennen lernte, später dann in England, in den USA und noch später in Indien (Stichwort Bollywood). Greta Garbo traf er an einer Ampel in Manhattan, Betty Davis an der Laguna Beach, Ingrid Bergmann und Elisabeth Taylor, mit ihr tanzte er im Studio 1 auf dem Hollywood Boulevard. Arndt von Bohlen und Halbach, Fritz J. Raddatz mit Vollbart etc., solche Leute kannte Peter persönlich.

Und wieder zitierte er vom Bett aus den Psalm-Vers 135,6, den ihm seine Eltern als Taufspruch ins Leben mitgegeben hatten:

„Alles, was er will, das tut er: im Himmel und auf Erden, im Meer und in allen Tiefen.“
All das traf auf Peter zu! Alles, was er wollte, das tat er!

Als er mich das letzte Mal von der Klinik aus anrief, sagte er, dass er froh und dankbar sei, drei Leben gelebt zu haben. Und ich antwortete ihm: „Ja Peter: auf Sylt, in England und Amerika, auf Malta, in München und in Indien. Das sind mehr als nur drei Leben.“

Er wollte seine Biografie schreiben, wie oft sagte er mir das. Und wie oft sagte ich ihm, er solle sich auf seinen Hintern setzen und endlich zu schreiben anfangen. Ich weiß nicht, ob er über den Anfang hinauskam. Er hat mir nichts mehr davon erzählt.

Peters größtes Geschenk an mich

Eines der größten Geschenke, die er mir gemacht hat, war, dass ich bei seinem Hinübergehen dabei sein konnte. Er wünschte sich am Sonntag, den 12. März, dass vier seiner Freunde zu ihm auf die Palliativstation kommen: Christine, Hans-Werner, Stephan und ich. Wir trafen uns nachmittags an seinem Bett, meditierten mit ihm, spielten ihm Lieder von Aretha Franklin, seiner Lieblingssängerin, vor, und lasen ihm Gedichte vor. Wir waren da bei ihm und er war dankbar dafür.

Abends, nachdem ihn eine Schwester frisch gemacht und uns darauf vorbereitet hatte, dass es nicht mehr lang dauern würde, kehrten wir zu ihm zurück in sein Zimmer. Es lief sanfte Meditationsmusik, das Licht war gedimmt. Ich saß am nächsten zu ihm, legte meine Hand auf die Bettdecke, seine Hände lagen darunter, auf Höhe seines Solarplexus. Die Atmosphäre versetzte mich in eine Art Meditation. Vor meinem inneren Auge sah ich uns – Peter und mich – als Kinder: ihn als Jungen, mich als Mädchen. Wir waren auf einer Blumenwiese, auf der linken Seite sah ich ein Licht, darin stand jemand. Die kleine Jutta ergriff die Hand des kleinen Peter und feuerte ihn an: „Komm Peter, wir laufen über die Wiese zu diesem Licht.“

Ich – die große Jutta – war selbst total erstaunt über dieses Bild und musste weinen. Wir liefen zusammen und während wir liefen und ich ihn losließ und er allein weiterlief, schaute ich – die große Jutta – ihn – den großen ausgemergelten Peter im Bett – an. Er atmete langsamer, die Intervalle zwischen Ein- und Ausatmen wurden länger, bis sein Atem irgendwann ganz stehen blieb….

Es war das Tiefgreifendste, was ich bisher erlebt habe. Ein Bild, so tief und erhebend zugleich. Ich durfte Peter beim Hinübergehen begleiten. Wir waren beide Kinder und liefen Hand in Hand Richtung Licht, bis er allein ohne mich weiterlief. Auf Wiedersehen und Namaste, lieber Peter! „Alles, was er will, das tut er, jetzt auch im Himmel.“ (Hier endet meine Rede)

Mediale Deutung meines inneren Bildes

Margot, Peters Freundin aus Zürich, konnte bei der Abschiedsfeier am 26. März nicht dabei sein. Ich hatte sie „zufällig“ während meines Besuchs bei Peter auf der Palliativstation kennen gelernt. Sie hatte ihn überraschend besucht, worüber er sich sehr gefreut hatte. Nach der Feier schickte ich ihr meine oben stehende Rede für Peter. Sie schrieb zurück:

„Dein Text zum Abschied von Peter hat mir sehr gut gefallen. Ich habe mir erlaubt, mit einer Freundin, die sehr medial ist und täglich damit arbeitet, dein Erlebnis bei der Sterbebegleitung zu erzählen. Für sie war ganz klar, dass dir gezeigt wurde, wie ihr einmal Geschwister ward.“

Als ich das las, bekam ich Gänsehaut… und spürte zum ersten Mal eine tiefe Traurigkeit. Zeit seines Lebens war ich nie mit Peter verreist. Dafür wird mir seine allerletzte Reise zeit meines Lebens in Erinnerung bleiben. 

Update: 3. Mai 2023

Peters Urne mit seinen Daten. Die Feuer-Bestattung (F.B.) war an meinem Geburtstag!

Am 3. Mai – fast zwei Monate nach Peters Tod am 12. März – wurde seine Asche auf dem Westfriedhof in München beigesetzt. Ich habe die Urne vor dem letzten Gang zur Grabstelle fotografiert und mir das Foto erst zuhause genauer angesehen. Peters Geburts- und Sterbedatum sowie die Orte sind darauf vermerkt. Beim Kürzel F.B. und dem dahinterstehenden Datum stutzte ich. Die Feuer-Bestattung (F.B.) war am 05.04.2023. Am 5. April ist mein Geburtstag! Mehr Koinzidenz kann es kaum geben.

Beim Verlassen des Friedhofs geschah ganz unerwartet etwas sehr Berührendes. Ein rotbraunes Eichhörnchen sprang vom Baum und lief auf mich zu. Ich ging in die Hocke und lockte es mit meiner rechten (leeren) Hand, es lief tatsächlich bis zu meiner Hand. So nah war mir ein fremdes Eichhörnchen noch nie zuvor gekommen. Als es sah, dass nichts zu holen war, hüpfte es weiter. Andreas, Peters Yoga-Schüler, der auf dem Friedhof mit dabei war, erzählte mir danach, dass es in Peters Garten ein Eichhörnchen gab, das immer zu ihm gekommen war. Wieder so eine unglaubliche Begebenheit, die mich ehrfürchtig erschaudern ließ. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die numinos sind….

 

 

Weiterführende Literatur

Wer sich mit dem Thema „Hinübergehen, Sterben, etc.“ tiefer beschäftigen möchte, dem möchte ich die Bücher von Monika Renz und Elisabeth Kübler-Ross empfehlen.

11 Gedanken zu „Seine letzte Reise“

  1. Liebe Jutta,
    dein Artikel ist ein sehr ergreifender und emotionaler Beitrag, der mich sehr an den Tod meiner geliebten Frau erinnert und mich zu Tränen gerührt hat. Dazu passt auch folgender Spruch: „Menschen, die wir lieben, bleiben für immer, denn sie hinterlassen Spuren in unserem Herzen.“
    Viele Grüße
    Günter

    Antworten
  2. Liebe Jutta,
    Ein sehr ergreifender Beitrag. Ich kannte Peter nicht, kann mir eure Beziehung aber gut vorstellen. Mein herzliches Beileid. Liebe Grüße Sabine

    Antworten
  3. Liebe Jutta,
    Du hast Deinem lieben Freund und Bruder wirklich einen zu Herzen gehenden Nachruf gewidmet. Er hat mich zu Tränen gerührt, die sich auch jetzt beim Schreiben nicht vermeiden lassen.
    Mit meinen 91 Jahren ist ja mein baldiger Abgang vorprogrammiert. Ich hoffe sehr, dass es wahr wird, dass wir uns alle in der Ewigkeit wieder treffen und dann in Frieden leben können.
    Als Deine uralte Freundin möchte Dir Trost zusprechen.
    Es grüßt Dich ganz herzlich
    Monika

    Was man tief in seinem Herzen besitzt,
    kann man durch den Tod nicht verlieren.
    J.W.Goethe

    Herr du bist meine Zuversicht,
    wenn wir aus dem Leben gehen,
    Werden wir in deinem Licht,
    uns alle einmal wieder sehen

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  4. Du hattest wirklich ein sehr ergreifendes Erlebnis, Dir wurde es gegeben, seinen Abschied so miterleben zu dürfen. Es ist so schade, dass ich diesen wunderschönen Garten nie gesehen hatte, aber in dem zurückliegenden Jahr hätte ich wirklich die Zeit nicht gehabt, ihn anzurufen. Er hatte ja damals Gisela und mich eingeladen, ihn mal zu besuchen. Nun ja, auf jeden Fall wird es ihm jetzt gut gehen. Er wird „drüben“ sicher auch einen Garten haben und so schön herrichten.

    Liebe Grüße

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  5. Liebe Jutta,
    wie ergreifend Du über Peters letzte Reise geschrieben hast!
    Es passt einfach zu gut zu all Deinen wundervollen Reisebeschreibungen,
    Jetzt auch der letzten Reise einen würdevollen Anteil zu widmen-
    Ich bin zutiefst berührt.
    Brigitte

    Antworten
  6. Liebe Jutta,

    es heißt immer, dass man erst anfängt zu leben, wenn man dem Tod begegnet ist. Wahrscheinlich deswegen, weil dann die Angst davor weg geht.
    Du hast einen wunderbaren Text geschrieben für einen lieben Freund und ihm damit ein sehr schönes Denkmal gesetzt. Danke, dass du uns alle an diesem ergreifenden Moment teilhaben lässt.

    liebe Grüße Tina

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