Kini, Mond und Sterne
Zum 171. Geburtstag des King of the Blue(s)
Er gehört zu den Ikonen der europäischen Kulturgeschichte. Seine Traumschlösser – Neuschwanstein, Herrenchiemsee, Königshaus am Schachen, Linderhof – und sein Lebensstil machten ihn weltweit berühmt: König Ludwig II. von Bayern. Bei uns ist er auch der „Märchenkönig“, in der englischsprachigen Welt der „Swan King“ oder Schwanenkönig. 1845 geboren in Schloss Nymphenburg in München, besteigt er 1864 im Alter von nur 18 Jahren den Thron und wird König von Bayern. 1886 stirbt er auf mysteriöse Weise zusammen mit dem Arzt und Psychiater Bernhard von Gudden im Starnberger See. Seit 2008 feiert Schloss Linderhof den Geburtstag des „Kini“ am 25. August mit einer Ludwig-Nacht. Zu seinem 171. Geburtstag besuchten wir das Fest und erlebten eine traumhafte Sommernacht mit Kini, Mond und Sternen.
Ludwig II. liebte die schönen Künste. Er verehrte die Musikdramen Richard Wagners und den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV, als dessen geistiger Nachfolger er sich empfand. Er war beseelt von den Idealen eines absoluten Königtums und dem glanzvollen Hofstaat der Bourbonen-Dynastie – der Taufpate seines Großvaters und Paten Ludwig I. war einst Ludwig XVI. von Frankreich gewesen.
Zunehmend enttäuscht von den profanen Regierungsgeschäften, zog sich Ludwig II. immer öfter aus dem ungeliebten München ins Graswangtal bei Ettal in den Ammergauer Alpen zurück. Das Gebiet war ihm schon von Jugend an vertraut. Sein Vater Maximilian II. besaß hier eine Jagdhütte, das „Königshäuschen“, wohin er ihn öfter begleitete.
Inspiriert durch einen Besuch in Versailles 1867 erwarb Ludwig II. zwei Jahre später das Gebiet um den Lynder-Hof, ein zum Militärfohlenhof Schwaiganger gehöriges landwirtschaftliches Anwesen nahe Ettal. Hier in der „Götterdämmerung der erhabenen Berges-Einsamkeit“, wie er selbst schrieb, wollte er sich ein „neues Versailles“ bauen lassen. Hier lebte er seine Träume von einer besseren Welt künstlerisch aus.
„Die Melancholie, die in der mir verhaßten Stadt, inmitten des jetzt so unerquicklichen politischen Getriebes mich stets erfaßt, hat einer gehobeneren, freudigeren Stimmung Platz gemacht, veranlaßt […] durch den Aufenthalt in meinen geliebten Bergen, entrückt der Welt…„, schrieb Ludwig II. an Richard Wagner am 6. Mai 1871.
Des Königs Komponist
Was Ludwig II. und Richard Wagner miteinander verband, war die Liebe zu Dichtung und Musik. An Wagner, dessen Schaffen Ludwig zeit seines Lebens als Mäzen förderte, schrieb er am 19. Juli 1865:
„Mein Einziger! Wonne meines Lebens! Nun bin ich wieder in den herrlichen Bergen, in Gottes freier Natur und denke stets an den Geliebten […] Die Töne der Verklärung aus „Tristan“ umschweben mich, entzücken das geistige Ohr! – Ich lese über den „Ring des Nibelungen“ und über Thüringische Sagen. – Alles Heil ist für den Dichter im Mythos zu suchen; Preis Ihrer Lehre! […] Dein Wille muß erfüllet werden. Und müßt‘ ich d’rob zu Grunde gehen, mich Dir zu weih’n kam ich auf Erden, in Deinem Dienst soll sie mich seh’n, stets mehr und mehr Dich zu erkennen. Dahin geht meines Geistes Brennen. Ihr treuer Ludwig.“
Richard Wagner antwortete am 23. September 1865:
„Mein Theurer, unermesslich Gütiger, Schöner“. […] Ich versenke mich in die Tiefe Ihres ahnungsvollen Herzens, das mit allem Leiden und Streben mich in sich schloss, um mich zu erlösen, mich zu heiligen und zu weihen. […] Gewiß ist, daß mir der Weg vollkommener Heilung und Genesung immer kenntlicher vorgezeichnet ist: Weltvergessen durch thätigste Versenkung in schöpferische Arbeit! – O mein himmlischer Freund! Aus tiefster Seele segne ich Sie für diese Rettung meines Heiles! […] In ewiger Liebe und Treue. Der Ihrige. Richard Wagner.“
„Poetische Zufluchtsorte“
Ludwig II. faszinierten die Welt des Orients ebenso wie die Sagenwelt des Schwanenritters Lohengrin in dem gleichnamigen Musikdrama von Richard Wagner oder Parzival, der Ritter der legendären Artusrunde. Das in Wagners letztem Opus „Parsifal“ thematisierte Gralsdrama scheint auch Ludwigs Suche und Sehnsucht nach Erlösung gewesen zu sein.
Als Bauherr schuf er sich künstliche Paradiese, die er mit seinen Idealen bevölkerte. Seine Bauten nannte er „poetische Zufluchtsorte, wo man auf einige Zeit die schauderhafte Zeit, in der wir leben, vergessen kann.“ Unvergesslich für die Nachwelt hat er sich mit seinen Schlössern gemacht: Menschen aus der ganzen Welt pilgern zu ihnen, staunend und bewundernd. Einen unvergesslichen Abend wünschen die Organisatoren – das Team der Schloss- und Gartenverwaltung Linderhof – allen, die seit 2008 jedes Jahr zur Ludwig-Nacht kommen. Für viele Besucher ist dies sicherlich eine wohltuende, kleine Flucht aus dem Alltag. Für uns war die Feier auch der Auftakt zu einem verlängerten Wochenende in den Ammergauer Alpen – ein Tapetenwechsel, der immer gut tut.
Musik für königliche Träume
Rund 1.500 Kerzen säumten die Wege, farbig beleuchtete Laubengänge schufen in der Dunkelheit eine besondere Atmosphäre. Hunderte großer und kleiner Anhänger, viele in bayrischer Tracht, belebten den Park mit Terrassen, Kaskade, Brunnen und Tempel, ein Nachbau der Schloss- und Gartenanlage von Versailles. Sie flanierten oder saßen und lauschten dem Orchester und seiner Musik für königliche Träume: „Sinfonia in G“ von Stamitz und „Plaisir d’Amour“ von Martini.
Was wohl der eher menschenscheue Monarch zu Lebzeiten über so viele Geburtstagsgäste gesagt hätte? Wahrscheinlich hätte er sich auf seine über 300 Jahre alte Linde, auf der er als Nachtmensch hin und wieder abends zu frühstücken pflegte, zurückgezogen und das Treiben von oben aus gebührender Distanz verfolgt.
Nach „Over the rainbow“ und der „Bayernhymne“, die viele mitsangen, folgte eines der Highlights: die Illumination des Wasserparterres. Aus der Mitte der vergoldeten Floragruppe schoss zu klassischen Klängen eine 25 bis 30 Meter hohe beleuchtete Fontäne in den mit Sternen übersäten Nachthimmel empor.
Home, sweet home
Schloss Linderhof, die „Königliche Villa“, mit Terrassenanlage und Bassin konnte Ludwig II. unter der Leitung seines Hofarchitekten Georg von Dollmann als einziges seiner Schlösser nach nur acht Jahren Bauzeit 1878 vollenden. Das Anwesen auf rund 950 Höhenmetern wurde sein privates Refugium, sein Hideaway, an dem er sich am liebsten aufhielt. Wenn für uns Normalsterbliche „my home is my castle“ oder „Dahoam is Dahoam“ gilt, dann galt für ihn „this castle was his home“.
Hinter der barocken Fassade des eher kleinen, verspielt wirkenden Schlosses verbergen sich prunkvolle Räume mit süddeutschen und französischen Rokoko-Motiven: glitzernde Spiegel, glänzendes Gold, kostbare Wandbehänge und Gemälde, Plüsch und Kristallleuchter, Malachit und Lapislazuli. Ludwig II. liebte die Farbe Blau, es war seine Symbolfarbe. Pfauen und Schwäne, lebendige und aus Porzellan, gehörten zu seinen Lieblingstieren. Weiß und Blau – wie die bayerischen Farben.
Die nächtliche Schlossführung begann in der Eingangshalle, dem Vestibül. In der Mitte steht die bronzene Reiterstatuette des französischen Sonnenkönigs Ludwigs XIV. Darüber schweben in einem Strahlenkranz zwei Putten mit dem Wahlspruch der Bourbonen: NEC PLURIBUS IMPAR (wörtlich: „Auch nicht mehreren unterlegen“). Der Sonnenkönig hatte ihn eingeführt und sein Wappen damit geschmückt.
Ludwig II. gründete die heutige TUM
Der Rundgang führte durch die opulent dekorierten Privaträume seiner Majestät: Schlafzimmer, Spiegelsaal, Rosa, Blaues, Gelbes und Lila Kabinett, Östliches und Westliches Gobelinzimmer, Audienzzimmer, in dem er Gäste empfing, und das Speisezimmer mit dem versenkbaren Tischlein-deck-dich, einer französischen Erfindung des 18. Jahrhunderts. Wenig bekannt ist, dass seine historisierenden Bauwerke vor romantischer Kulisse mit viel technischer Raffinesse ausgestattet waren. Noch weniger bekannt sein dürfte, dass der technikbegeisterte Monarch 1868 die „Königlich Bayerische Polytechnische Schule“ zu München gründete, die später zur Technischen Universität München (TUM) wurde.
„Dinner for One“
Über die Tischgepflogenheit des Königs berichtet Theodor Hierneis in seinem Buch „Der König speist. Erinnerungen eines Hofkochs“: »Er (der König) will (beim Essen) niemanden um sich haben. Trotzdem müssen die Diners und Soupers immer für mindestens drei bis vier Personen ausreichen. Denn wenn auch der König sich immer allein zu Tisch setzt, so fühlt er sich doch nicht allein. Er glaubt sich in der Gesellschaft Ludwigs XIV. und Ludwigs XV. und deren Freundinnen, Madame Pompadour und Madame Maintenon. Er begrüßt sie sogar mitunter und führt mit ihnen Gespräche, als hätte er sie wirklich als Gäste bei Tisch.«
„Dinner for One“ gab es also schon lange vor dem gleichnamigen Kultsketch mit der 90-jährigen Miss Sophie, nur dass der bayerische König dieses biblische Alter leider nicht erreichte.
Apropos Bayerisch: Auf dem Rückweg kamen wir am Königshäuschen vorbei. Davor sass eine fesche Lady im Dirndl und las „Tannhäuser oder De Venus in der Kampenwand“ aus den „Opern auf Bayerisch“ von Paul Schallweg vor. Herrliche Verse in tiefstem Bayrisch, alle in Reimform. Das Publikum lauschte andächtig im Freien unter einem sternenklaren Himmelszelt.
Des Königs Gartenarchitekt
Die illuminierte Schloss- und Gartenanlage von Schloss Linderhof nachts zu erkunden, ist ein Erlebnis. Man muss sie aber auch bei Tageslicht gesehen haben. Auffällig ist, wie viel Wasser überall fließt und sprudelt: am Famabrunnen im Westparterre, am Neptunbrunnen im Nordparterre und am Amorbrunnen im Ostparterre. Sie beherbergt das Marokkanische Haus, das einzige aus dem Orient importierte Gebäude, den Maurischen Kiosk und die Venusgrotte, eine künstliche Tropfsteinhöhle mit kleinem See, die das Innere des Hörselbergs aus Wagners „Tannhäuser“ darstellt. Der vergoldete Muschelkahn soll Ludwig II. in seine Zauberwelt entführt haben. Mitte Oktober 2016 schließt die Venusgrotte und wird bis voraussichtlich 2022 restauriert. Zwei weitere im weitläufigen Park errichtete Bühnenbilder sind die Hundinghütte aus Wagners „Walküre“ und die Einsiedelei des Gurnemanz aus „Parsifal“. Interessant auch die ehemalige Bauhütte.
Carl von Effner (1831 bis 1884) plante und gestaltete die kunstvolle Parkanlage, 1880 war sie fertig gestellt. Effner war Hofgärtendirektor und Ludwigs Gartenarchitekt. Für seine Verdienste wurde er 1877 vom Kini persönlich geadelt. Drei Stilrichtungen prägen den Garten: Terrassen im Stil der Renaissance, Parterres nach barockem Muster und ein offener Landschaftsgarten nach englischem Vorbild. Von hier aus kann man Bergtouren unternehmen und zu verschiedenen Gipfeln wandern. Man kann sogar mit dem Rad durch den Park fahren – wie im Englischen Garten in München.
Epilog
Einen Effner-Platz gibt es auch in München, ein eher schmuckloser Verkehrsknotenpunkt, den sich Carl von Effner auch noch mit Joseph Effner teilen muss. Tröstlich ist nur, dass den Effner-Platz heute ein Kunstwerk „Mae West“ ziert, das so kurvenreich ist wie diese war. Somit bestehen doch gewisse Parallelen zu Schloss Linderhof. Dann schon mal viel Vorfreude auf die König-Ludwig-Nacht am 25. August 2017!
Weitere Informationen
BR-Dokumentation über Schloss Linderhof
Die Guglmänner bei Facebook
Artikelsammlung über Ludwig II. bei Merkur.de
Der letzte Brief von Ludwig II. auf welt.de