Good Vibrations: Und täglich klingt die
Friedensglocke von Mösern
„Ich läute für die gute Nachbarschaft und den Frieden der Alpenländer“, so steht es am Rand der mächtigen Friedensglocke. Regungslos hängt die über zehn Tonnen schwere gegossene Bronzeglocke an exponierter Stelle auf rund 1.300 Höhenmetern am Ortsrand von Mösern, dem „Schwalbennest Tirols“.
Von hier oben aus hat man einen herrlichen Blick ins Inntal. Einen Ausschnitt davon malte Albrecht Dürer nach seiner ersten großen Italienreise 1498 in seinem Selbstportrait (mit Fensterblick ins Inntal) hinein. 2,54 Metern beträgt der Durchmesser der Glocke, fast ebenso hoch ist sie mit 2,51 Metern. Ein wahrhaft imposanter Anblick.
Einmal am Tag um 17 Uhr erwacht sie zum Leben: Der über eine halbe Tonne schwere Klöppel beginnt zu schwingen und schlägt an den Glockenrand. Ihr Klang ist eine Mischung aus dis – fis – ais, hörbar bis hinunter nach Telfs und noch viel weiter ins Oberinntal hinein. Sie läutet für Frieden und gute Nachbarschaft in den Alpenländern.
Die Arbeitsgemeinschaft Alpenländer
Am 12. Oktober 1972 trafen sich in Mösern die Regierungschefs von zunächst sieben Alpenländern und Regionen aus Österreich, Deutschland, Italien und der Schweiz. Sie schlossen sich zur Arbeitsgemeinschaft Alpenländer (Arge Alp) zusammen. Ihre Vision war ein neues gemeinsames Europa. Der Kreis erweiterte sich bald auf zehn Mitgliedsländer mit rund 16 Millionen Menschen. Zu ihnen gehören heute: Bayern, Graubünden, Lombardei, Salzburg, St. Gallen, Südtirol, Tessin, Tirol, Trentino, Vorarlberg. 1997, zum 25. Jahrestag der Gründung der Arge Alp, wurde die Glocke eingeweiht. Seither läutet sie jeden Tag einmal – als Symbol für grenzüberschreitende Zusammenarbeit und den Frieden im Alpenraum.
Ein Klang, der zu Tränen rühren kann
Bei meinem ersten Besuch am Faschingssamstag 2016 zum Ausklang eines langen Wandertages (den wir trotz gewisser Gefahren alle gut überstanden, siehe Foto) schaute und hörte ich mir die Glocke auf einer Bank erst mal aus gebührender Entfernung an. Neben mir saß eine Frau, mit geschlossenen Augen hatte sie ihre Hände gen Himmel erhoben, beim Ertönen der Glocke liefen ihr Tränen über die Wangen.
Einige erhebende Minuten auch für mich: ein Klang, der vielleicht nicht jedermanns Geschmack ist, mir aber trotzdem durch und durch ging, dazu ein Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch. Die Besucher standen schweigend, lauschend und in sich versunken. Ich pilgerte auch noch die nächsten beiden Tage zur Glocke und näherte mich ihr bis auf ein, zwei Meter. Viel näher ran darf man nicht, solange die Glocke schlägt, sonst meldet sich der Glöckner lautstark zu Wort.
Das Lied von der Glocke
Heute mehr denn je aktuell ist der Ausspruch von Eduard Wallnöfer, einem der drei Gründerväter der Arge Alp (die anderen waren Silvius Magnago und Alfons Goppel), aus dem Jahr 1972: „Europa kann nur entstehen, wenn es da zusammenwächst, wo man Grenzen gezogen hat.“
Klänge und Töne sind stärker als Grenzen: Sie gehen durch Wände und Zäune hindurch und klingen durch die Jahrhunderte. Ihr Fluidum weht durch Raum und Zeit, Vergangenheit und Zukunft.
Schon in Friedrich Schillers „Lied von der Glocke“ (1799) heißt es: “Der Segen kommt von oben“. Möge der Segen von oben die Friedensglocke noch lange läuten lassen und die Herzen der Menschen friedvoll berühren.
„Friede sei ihr erst Geläute“, so endet Schillers „Lied von der Glocke“. Ebenso lautet auch der Spruch auf der Stele an der siebten und letzten Station des Friedensglocken-Wanderwegs.
Die Glocke im Video
Von mir und meinem iPad aufgenommen.
Im O-Ton erfahren Sie mehr über die Entstehungsgeschichte der Glocke und hören sie in voller Aktion.
Weitere Informationen
Bernhard Witsch – der „Rostbaron“ von Telfs in Tirol
Seine großen und kleinen Kunstwerke im Open-Air-Skulpturengarten in Pettnau in Tirol haben mich so fasziniert, dass ich Bernhard Witsch auf gut Glück zuhause in Telfs besuchte. Der „Rostbaron“ war da und hat uns noch viele schöne Werke in seinem Garten gezeigt.
Neu und interessant für mich. Als Kriegskind bin ich immer für Frieden.
Der Klang der Glocke rührt mich nicht zu Tränen, die Antriebsgeräusche stören.
Entfernter wird es besser klingen!
Siegfried.
Ja, Du hast recht, Siegfried, von etwas weiter entfernt klingt sie harmonischer. Aber auch aus der Nähe ist der Platz besonders, weil man den Klang nicht nur hören, sondern auch am ganzen Körper spüren kann.
Wenn die Glocke erst einmal schlägt, übertönt sie die Antriebsgeräusche, die hauptsächlich von den Ketten stammen dürften. Die Nebengeräusche, die man hier hört, hat scheinbar das Aufnahmegerät etwas überbetont und einige andere auch selbst produziert.
Romantischer wäre es natürlich, würde der Glöckner selbst läuten, aber dessen „Antriebsgeräusche“ wären wohl noch deutlicher… 😉 Der stählerne „Glockenturm“ gerät ganz ordentlich in Bewegung, wenn die zehn Tonnen schwingen!
Direkt neben der Glocke fallen einem relativ stark die blechern klingenden Anteile auf. Vielleicht, weil diese Frequenzen in dem Bereich liegen, in dem das Ohr seine höchste Empfindlichkeit hat?! Weiter entfernt ändert sich das, da tiefe Frequenzen eine höhere Reichweite haben und so der blecherne Anteil stärker abnimmt.
Bei der Wiedergabe der Aufnahme(n) hängt der Klang aber auch von den Lautsprechern ab. Wenn die „unten rum“ noch etwas zu bieten haben, klingt die Glocke viel voluminöser. Live und vor Ort ist das Ganze schon ein spezielles und einmaliges Ereignis 🙂
Liebe Jutta,
wieder mal ein wunderbarer Anstoß, über den Frieden nachzudenken. Man sollte alle Waffen dieser Welt für Friedensglocken einschmelzen. Vielleicht würden Krieg, Vertreibung und Elend damit ein Ende haben. Danke.
LG, Brigitte
Eine wundervolle Idee, Brigitte! Nur sollten die neuen Glocken dann nicht alle gleichzeitig um 17 Uhr läuten 🙂
Wusste nicht mal, dass es eine Arge Alp gibt. Danke für den schönen Artikel nebst Hörbeispiel!
Das war mir auch neu, Tina. Jetzt sind wir beide (und vielleicht noch andere) etwas schlauer.