Alle Kunst ist erotisch
Klimts Kuss – eine immersive Ausstellung
Ich wollte es wissen: Würde mich die immersive Ausstellung „Klimts Kuss. Spiel mit dem Feuer“ im Utopia München ebenso beeindrucken wie „Viva Frida Kahlo“? Katharina, eine kunstversierte und selbst malende Freundin, besuchte mit mir die Ausstellung über den Jugendstil-Pionier Klimt. Dazu ist ihr folgendes eingefallen:
„Immersiv, hineintauchend, hineingetaucht werden, in eine Welt voller Gefühle, voller Farben, Lust und Leidenschaft, allerdings hier, bei Klimt, in einer Konkretisierung (im Gegensatz zum allumfassenden Licht bei James Turrell im DIMU in Freising), alles „unterfüttert“ mit Daten, historisch belegten Personen mit Namen und Biografie, einer zeitlichen Einordnung (Ende 19. – Anfang 20. Jahrhundert), einer räumlichen Einordnung (Wien), die natürlich zu einer im wahrsten Sinne des Wortes „gefärbten“ Wahrnehmung führt, die alles beinhaltet, was das tradierte Leben von Gustav Klimt betrifft, seine Lebenssituation, zeitlebens zusammen mit Mutter und Schwestern zu leben, Umstände, in denen er sich vielleicht auch nie gelöst hat von einer mystischen Verschmelzung mit dem Mütterlichen.
Vielleicht hat ihm dieses Leben in enger Verbindung zu seiner Mutter, in dem er sich nie zu einer eigenständigen Persönlichkeit, die alle Härten des Lebens miteinbezieht, ermöglicht, Bilder zu malen, die Reichtum und Leidenschaft verbinden, aber auch Elend, Armut und dunkle Gefühle ausschließen. Das Ausleben seiner Leidenschaften auf einer – man könnte fast sagen – abgehobenen Ebene, die das allzu Konkrete wie einen Ehealltag, ausklammerten (seine Kinder waren alle unehelich, er war nie verheiratet), wird auch durch seinen Malstil sichtbar gemacht.
In der immersiven Ausstellung werden auf die Wände des Raumes übergroße Bilder mit Inhalten projiziert, die das Leben von Gustav Klimt dokumentieren, vermengt mit Bildern von seinen Werken, alles geht ineinander über und hat wohl bei mir zu leichtem Schwindel geführt!“
So weit Katharina.
Sinnlicher Overflow
Mit „leichtem Schwindel“ meinte sie nicht körperlichen, sondern eher „mentalen Schwindel“. Hervorgerufen durch einen Overflow an Informationen, Eindrücken, Bildern, Farben und Klängen. Wer Wiener Walzer und österreichische Melodien mag, kommt in der Ausstellung auf ihre/seine Kosten.
Kann sein, dass es mir ähnlich wie Katharina ging, weil ich – ganz anders als bei Frida Kahlo – im Nachhinein nicht wusste, was ich über die Ausstellung schreiben sollte. Ich mag den Malstil Klimts, seine goldfarbenen Jugendstil-Gemälde, die teils mit Blattgold überzogen sind, vor allem das Bild „Judith und Holofernes“ (Jutta, mein Name, kommt von Judith), das Cover des Bildbands „Wien 1900 – Kunst, Architektur & Design“ ziert Klimts „Judith I“ von 1901. Und wer kennt nicht seinen weltberühmten Kuss?
By the way: Von Auguste Rodin gibt es eine wunderbare Skulptur „Der Kuss“ und die Schluss-Szene in einem meiner Lieblingsfilme „Cinema Paradiso“ handelt von Kuss-Szenen, die aus verschiedenen Filmen herausgeschnitten wurden.
Neu waren mir auch all die Informationen über Klimts Biografie, sein privates, relativ kurzes Leben (er starb 1918 mit nur 55 Jahren) und sein erfolgreiches künstlerisches Schaffen. Er scheint ein eigenwilliger und unangepasster Mann und Maler gewesen zu sein.
Artainment – unterhaltsames Lernen
Nachdem ich mehrere Tage über die Ausstellung sinniert hatte, formierte sich in meinem Geist das Wortgebilde „Artainment“. Ich hatte es bis dahin noch nirgendwo gelesen oder gehört. In Abwandlung zu „Edutainment“ (education + entertainment, d.h. Bildung bzw. Erziehung auf unterhaltsame, spielerische Art), glaubte ich, ein neues Kunstwort gefunden zu haben, das zu der Klimt-Ausstellung passte.
Pustekuchen! Ein Blick ins Internet ernüchterte mich. Da gab es etliche Beiträge über Artainment, auch auf Englisch. Bereits 1998 hatte im Sprengel Museum Hannover eine Tagung Artainment stattgefunden.
25 Jahre später war mein Geist – nur durch Nachsinnen (im Nachhinein einen Sinn in etwas erkennen) – von ganz allein auf dieses Kunstwort gekommen. Ergo: Sinnhaftes Lernen und Wissen – in einem selbst gereift und gewachsen, nicht nur angelesen und konsumiert – braucht eben seine Zeit, in der Kunstwelt ebenso wie auf allen anderen Gebieten, auch in der Kusswelt! 😊
Das Mysterium der verbrannten Klimt-Werke
Was es mit dem Untertitel der Ausstellung „Spiel mit dem Feuer“ auf sich hat, erschloss sich mir in der Ausstellung nicht ganz. Klimts Lebenswandel könnte damit gemeint sein. Bei der Recherche fand ich noch einen anderen interessanten Aspekt: In den letzten Kriegstagen verbrannten im niederösterreichischen Schloss Immendorf neben zahlreichen anderen wertvollen Kunstgegenständen aller Wahrscheinlichkeit nach auch Hauptwerke von Gustav Klimt aus der Sammlung Lederer. In Video 3 ist das brennende Schloss Immendorf zu sehen.
Werke von Klimt bei ars mundi
Bei „ars mundi – Die Welt der Kunst“ können Sie verschiedene Produkte mit Motiven von Klimt erwerben.
Meine 6 Videos der Ausstellung
Die Tonqualität ist leider nicht besonders gut, am besten Sie besuchen die Ausstellung.
„Klimts Kuss“ ist noch bis 27. Juni 2023 zu sehen, täglich 10 bis 21 Uhr.
Im Utopia München (ehemals Reithalle), Heßstr. 132, 80797 München
Tickets mit Zeitfenster vor dem Besuch online bestellen: klimts-kuss.de
Über das Leben Klimts gibt es einen Film mit John Malkovich: Klimt
Am Totenbett lässt der Maler Gustav Klimt sein Leben Revue passieren. In Bildern voll berauschender Schönheit führt der Film durch das Leben des großen Jugendstil-Künstlers, dessen Werke heute die höchsten Preise am Kunstmarkt erzielen. Ein erotischer Reigen aus Leidenschaft, Verwirrung und Verführung, Kampf um künstlerische Freiheit und Begegnung mit den großen Künstlern seiner Zeit, wie Egon Schiele, entsteht.
Liebe Jutta,
Wie geht es Dir?
Es ist immer schön, von Dir einen Newsletter zu erhalten!
Das ist ja Schade, dass wir uns nicht getroffen haben bei „Klimts Kuss“.
Ich war zweimal in der Ausstellung. Und wir waren zum einen sehr begeistert, welche technischen Möglichkeiten es gibt und umgesetzt wurden, um statische Bilder in Bewegung zu setzen. Vermisst hatten wir alle aber wenigstens ein ORIGINAL-Bild von Klimt.
Bei den inhaltlichen Texten hätte ich mir mehr „neutrale Poesie“ gewünscht. Na ja. Man ist vielleicht immer zu kritisch…? Frida Kahlo habe ich leider verpasst. Ich wollte immer hingehen und dann war es plötzlich vorbei.
Tatsächlich fand ich den Untertitel »Spiel mit dem Feuer« auch nicht ganz treffend.
Armando und ich haben das so interpretiert, dass Klimt anfänglich das gemalt hatte, was die „Stadt Wien“ ihm vorgegeben hatte. Später hat er nur noch das gemalt, worauf er Lust hatte und sich von allen Konventionen weg bewegt, sodass man ihm auch leider den Professoren-Status nicht anerkannt hat. Ihm war das egal.
Er hat sich für den „Professor“ nicht prostituiert. Das war glaube ich mit dem Untertitel gemeint. Spiel mit den Konventionen. Für die damalige Wiener Gesellschaft waren Klimts Gemälde mit Sicherheit abseits der Norm – und eher speziell.
Komm doch mal wieder auf einen Kaffee vorbei, wenn Du Lust hast.
Man kann so schön draußen sitzen.
Liebe Grüße
Petzo
Liebe Petra-Petzo!
Dank Dir für Deine Erläuterungen. Sehr wertvoll, das von Dir zu erfahren, Du malst und komponierst ja auch, was ich sehr schätze. Wir sehen uns bald…
Jutta