Abhängen und auschillen:
Sommerglück in der Hängematte
Endlich ist er da auf der nördlichen Halbkugel, der Sommer 2017 – mit Temperaturen, wie sie im Sommer sein sollen: Sonne von morgens bis abends und heiß, heiß, heiß. Was tun an solchen Tagen, außer sich – wie heute zum Sommeranfang am längsten Tag des Jahres – drinnen aufzuhalten und am PC einen Text wie diesen zu schreiben?
Man schnappe sich seine Badetasche samt Hängematte und fahre an seinen Lieblingssee, so wie ich das mache, oder auch in den nächstgelegenen Wald. Hier suche man sich zwei Bäume, die nicht zu weit auseinander stehen und kräftig genug sind. Sodann entpacke man die geliebte Hängematte – mit nicht mal 500 Gramm ein Leichtgewicht – und befestige sie mit Schnüren an den beiden Bäumen. Wie das genau geht, verrät mein Co-Autor weiter unten.
Auch im eigenen Garten, auf dem Balkon und sogar in der Wohnung ist so eine Hängematte nicht nur im Sommer ein praktisches Must-have für ein Hideaway. Hier kann man sich auch nur für kurze Zeit verstecken und seiner Muße frönen.
Wie es dazu kam, dass die Hängematte zu meinem Lieblings-Outdoor-Utensil in diesem Sommer wurde, ist in ein paar Sätzen erzählt. Die Geschichte hat auch mit Risikofreude und Kairos, dem rechten Zeitpunkt, zu tun:
Ich sammle bei meiner Krankenkasse Gesundheitspunkte, die ich normalerweise gegen Bargeld einlöse. Nun stand ich im Mai vor der Entscheidung, für meine Gesundheitspunkte 200 Euro Bargeld oder aber eine Prämie zu nehmen. Dieses Mal entschied ich mich für letzteres: eine XXL-Hängematte für zwei Personen mit Gestell, die der Hersteller für rund 400 Euro anbietet. Da ich selbst weder den Platz, noch einen Garten habe, um sie aufzustellen, und ebenso wenig Lust verspüre, rund 28 Kilogramm irgendwohin zu schleppen, inserierte ich sie und vertraute darauf, dass sie für mindestens 300 Euro weggeht.
Der Zeitpunkt war günstig für diesen etwas riskanten Deal. Schon nach kurzer Zeit fand die Fatboy-Hängematte eine dankbare Familie, die mir dafür deutlich mehr als erwartet und erhofft zahlte. Ein Gewinn für beide Parteien. Nicht immer laufen die Geschäfte so gut, aber dieses Mal hatte ich Glück.
Während die Anzeige online war, stellte ich fest, wie viele Interessenten sie „beobachteten“ und wie heiß begehrt eine Mega-Hängematte ist. Ich brauchte so ein schweres Riesenteil nicht, wollte mich nicht zu zweit da hinein legen, sondern nur eine kleine Schnuckelige für den See haben. Außerdem bin ich eher ein „slim girl“, der eine einfache, kostengünstige Backpacker-Hängematte voll genügt.
Hängematte to go
Für rund 20 Euro erstanden wir im nächsten Outdoorladen eine Leichthängematte für Reisende, eine Art „Matte to go“. Seither ist sie unser treuer Begleiter, schnell auf- und auch wieder abgebaut und super bequem. Noch nie war Entspannen, Dösen, Lesen oder auch Musikhören so einfach und unkompliziert. Schwerelos, der Erdanziehung enthoben, in einem weichen Tuch zu hängen, luftig über dem Boden zu schweben, leicht zu schaukeln und geschaukelt zu werden, Gott einen guten Mann sein zu lassen – der Leichtigkeit des Seins lässt sich so ganz nah sein. Chill out at its best! Vielleicht fühlte es sich so ähnlich als Embryo im Mutterleib an.
Nur eines will gelernt sein: Der Einstieg in die Hängematte und der Ausstieg erfordern etwas Gleichgewichtssinn und Übung, vor allem aber ein Vertrauen in ihre Tragfähigkeit. Wie bei jeder anderen guten Zweierbeziehung auch. 🙂
Wie herrlich ist es, nichts zu tun,
und dann vom Nichtstun auszuruh’n.
Heinrich Zille (1858-1929)
„Ich seh‘ den Sternenhimmel“
Übernachtet habe ich in meiner Hängematte noch nicht, doch der Sommer hat ja gerade erst angefangen. Ausprobieren werde ich es sicherlich mal. Ohne Bodenkontakt an der frischen Abendluft mit Blick in den sommerlichen Sternenhimmel einzuschlafen, könnte ein ganz neues Naturerlebnis sein. Wenn es dann auch noch an meinem Lieblingssee wäre und ich am nächsten Morgen nach dem Erwachen in diesem schwimmen könnte, wäre dies schon fast paradiesisch.
Was sich als Schlafgelegenheit bei Seefahrern auf Schiffen schon seit langem bewährt hat, könnte auch an Land funktionieren. So stelle ich es mir zumindest vor. Die Praxis wird zeigen, ob es mit dem Ein- und Durchschlafen dann auch tatsächlich klappt. Laut einer Studie von Genfer Neurowissenschaftlern, veröffentlicht in Current Biology am 21. Juni 2011, beeinflussen sanfte Wiegebewegungen den Schlaf positiv. Einen Versuch ist es also auf jeden Fall wert.
Bevor Reinhold, mein Co-Autor und Hängematten-Ingenieur, in den folgenden Absätzen in medias res geht und seinen Part zum Auf- und Abbau einer Hängematte beisteuert, noch zwei Lobeshymen auf den Sternenhimmel und die Hängematte (übrigens der einzige Song, den ich zu dieser genialen Erfindung finden konnte) – zum Mitgrooven und Vorchillen.
Hängematten aufbauen mit Seemannsknoten
– eine „Anleitung für Dummies“ von Reinhold
So eine Hängematte ist schon ein feines Teil mit fast hypnotischer Wirkung, eines, das seinen Benutzer der Erdenschwere entledigt und ihm neue Dimensionen des Seins eröffnet, also eine Nirvana-Maschine par Excellence. Naja, fast, aber weit angenehmer als der harte Boden am Badesee ist sie allemal. Voraussetzung für die (Ab-)Hängefreuden sind jedoch geeignete Bäume am Platz der Wahl. Ohne die muss Nirvana warten. Hat man das Glück, sein Plätzchen gefunden zu haben, steht man schon vor dem nächsten Problem: Das Ding muss aufgehängt werden und zwar so, dass man bequem liegt. Das klappt nur dann, wenn man sich vorher ausreichend lange Seile oder Bänder besorgt hat, die um die Stämme geschlungen werden.
Klingt einfacher als es ist, denn es kommt auf die richtige Höhe, den richtigen Winkel und die richtige Spannung der Matte an. Der Weg ins Himmelreich war noch nie einfach, heißt es, und die Hängematte scheint das auf ihre Weise zu bestätigen. Man braucht also einen Plan und die richtigen Werkzeuge, um stressfrei an sein Ziel zu gelangen.
Nach Rom führen bekanntlich viele Wege, in die Matte sind es zum Glück weniger: Zwei Seile braucht der Mann, ebenso die Frau. Bewährt haben sich bei uns dicke Nylon-Stricke aus dem Baumarkt, die ruhig lang sein dürfen, um auch dickere Bäume zu umfassen. Unsere haben je eine Länge von drei Metern und eine Dicke von etwas über einem Zentimeter. Das schont die Baumrinde und man bekommt die Schnüre auch wieder leicht vom Baum. Hier empfehle ich eine einfache Schlinge am Ende des Seils, durch die man den langen Teil einfach durchzieht. Man kann das Seil so auch mehrmals um den Baum legen. Damit ist man sehr flexibel beim Fein-Tuning der Höhe und hat keinen Knoten, den man eventuell nicht mehr so leicht lösen kann.
Der Marlinspike Hitch – ein Universalknoten
Am anderen Ende des Seils soll die Matte eingehängt werden und zwar ebenfalls ohne große Fummelei. Zwei Knoten haben sich dafür bewährt: der Becket Hitch und der Marlinspike Hitch. Meine Sympathie gilt dem Marlinspike Hitch, einem alten Seemannsknoten, schließlich habe ich mich der Seefahrt schon immer verbunden gefühlt und leicht seekrank werde ich auch. Passt. Außerdem hat unsere Hängematte praktischerweise zwei Metallhaken an den Enden, wodurch sich dieser Knoten geradezu aufdrängt, da man diese Haken ja irgendwo einhaken muss.
Wie man den Marlinspike Hitch knüpft, sieht man in den folgenden zwei Videos sehr schön:
Ich verwende natürlich keinen Gabelschlüssel zum Einhängen wie im Video, sondern zwei kurze Reste eines Metallrohrs. Zur Not tun’s auch Äste, die man vor Ort findet. Das ganze Setup wiegt gerade mal 640 Gramm. Noch leichter wird die Angelegenheit, wenn man auf die Metallhaken und Rohre verzichten möchte und auf den Becket Hitch umsteigt. Das ist für Wanderer, die ihre Hängematte auch zum Schlafen verwenden möchten, natürlich wichtig, zumal man unterwegs vielleicht lieber ein Modell mit Moskitonetz und eventuell auch Regendach bevorzugt.
Auch bei Regen ein Segen?
Apropos Regen: Hier punktet angeblich der Marlinspike Hitch wieder. Er soll nämlich das Regenwasser, das sich sonst seinen Weg entlang der Befestigungsschnüre unters Regendach sucht und die Matte durchnässt, an der Einhängestelle ableiten. Dies kann ich leider nicht bestätigen, da ich ein reiner Schönwetter-Hängemattenlieger bin und auf Tests im Regen gut verzichten kann. Wer damit schon Erfahrungen gesammelt hat, möge das bitte in einem Kommentar (am Ende des Artikels) beschreiben. Für die ganz Hartgesottenen, wie unseren Leser und Freund der schönen Künste Stefan B. aus München, gibt es natürlich auch “Winterhängematten”.
Hängemattentest
Körper und Seele baumeln lassen
Die Hängematte bei Wikipedia
Studie „Rocking synchronizes brain waves during a short nap“
„Das Gehirn in den Schlaf wiegen“
Hallo Jutta,
der Artikel ist toll!
Das Foto ist bestimmt an dem See aufgenommen, an dem wir uns kennengelernt haben.
Gruß
RS
Ja, das ist der See, seinen Namen verrate ich aber nicht 😉
Hallo,
ein toller Beitrag! Ich bin ja schon lange großer Hängematten-Fan, aber so schön wie du habe ich das Gefühl in einer Hängematte noch nie beschrieben. Ein großes Lob!
Grüße
Flora
Liebe Flora, vielen Dank für Dein Kompliment! Ihr habt ja auch eine interessante Homepage mit vielen schönen Hängematten-Modellen. Vielleicht bestelle ich mir mal eine für den nächsten Sommer 🙂
Sehr schöner Beitrag. Besitze zwar keine Hängematte, aber einen Hängesitz mit einem Gestell. Keine Ahnung, wie viele Stunden ich darin gelesen habe. Leider ist der Sitz irgendwann kaputt gegangen. Das Gestell habe ich noch. Vielleicht sollte ich doch wieder einen kaufen. Nach diesem Bericht eine Überlegung wert. LG Martina
Liebe Martina, ich staune auch, wie lang ich in meiner Hängematte liegen und ganz entspannt lesen kann. Danke Dir und schöne Grüße in die Pfalz.
Klingt großartig – leider ereilt mich immer wieder das Misstrauen, seit eine Kollegin nach einem Seilriss unsanft aus dem Nirvana direkt auf ihr Steiß katapultiert wurde. 🙂 Insofern ziehe ich die Liege vor, von der aus es sich trefflich von der Hängematte träumen lässt. Sehr netter Artikel! Dankeschön!
Oje, Tina, das hat sicherlich weh getan! Bei mir ist es auch eine Sache des Übens ins Urvertrauen. Bisher hat’s gut geklappt. Wär doch vielleicht auch eine Übung für Seminare? 🙂