Schneerosenblüte im Kufsteinerland

Bei Kaiserwetter ins Kaisergebirge

Zu den Christrosen auf die heilsamen Berge von Kufstein

Ich liebe Christrosen, die auch als Schneerosen und in der Botanik als Schwarze Nieswurz oder Helleborus niger bekannt sind. Sie blühen in Vorgärten und auf Friedhöfen bereits im Winter bis ins Frühjahr hinein. Für mich sind die weißen und zartrosa-farbenen Blüten der Inbegriff erwachender und erstarkender Natur. Obwohl die Pflanze giftig ist, erfreut sie mein Auge, meine Seele und ist ein Herzöffner. An das 350 Kilometer entfernte Grab meines Vaters habe ich die letzten fünf Jahre oft Schneerosen gestellt. Seit ich da kaum mehr hinkomme, muss ich, wenn ich sie sehe, unweigerlich an meinen Vater denken. Er und die Schneerosen gehören für mich zusammen. Er ist mein ungekrönter Schneerosen-König.

Eugen, mein Vater, in jungen Jahren. An sein Grab stelle ich am liebsten Christ- oder Schneerosen.

„Die Träume des Winters sind die Blumen des Frühlings.“
Khalil Gibran

Im Frühtau zu Berge wir ziehn….

Mitte März erfuhr ich erstmals über die Naturfreunde von der Schneerosenblüte im Kaisergebirge in Tirol. Sie soll eine der beeindruckendsten in den Ostalpen sein, vor allem am Stadtberg von Kufstein und am Pendling. Da musste ich hin! Im Internet machte ich mich über die Touren schlau und ging sie zu zweit an zwei sonnigen und warmen Tagen in der letzten Märzwoche. Das Wetter hätte schöner nicht sein können. Ich konnte mit kurzarmigem T-Shirt und abgezippten Hosenbeinen wandern und so auch Vitamin D, das für die Knochen und Gesundheit wichtige Sonnenvitamin, tanken. Zwischen beiden Halbtages-Touren, die relativ gaach (für Nicht-Bajuwaren: steil) und anstrengend sind, lagen drei Tage Pause, in denen sich die Beine regenerieren konnten.

„Wer nur an Sonnentagen wandert, kommt nie ans Ziel.“
Chinesisches Sprichwort

Tour 1: Auf den Stadtberg von Kufstein über den Elfenhainweg

Kufstein – Elfenhainweg – Duxeralm – Brentenjoch – Weinbergerhaus (ca. 4 Stunden, 770 Höhenmeter)

Unsere erste Tour startet hinter dem Städtischen Kindergarten in Kufstein (499 m). Nach dem Elfenhainweg müssen wir erst fragen, weil er nicht ausgeschildert ist. Auf dem Weg zur Duxeralm nehmen wir einen kleinen Abstecher zu einem Aussichtspunkt, von wo aus man einen schönen Blick auf Kufstein am grünen Inn hat. Hier hängen einige bunte Vogelhäuschen. Oder sind es eher Elfenhäuschen? Am Boden fällt ein Stein mit der Zahl „11“ auf. So mathematisch nüchtern kann man eine Elf(e) natürlich auch sehen.

Viel poetischer beschreibt sie Jorge A. Livraga in seinem Buch „Die Naturgeister oder Elementale“:
Die Elfen, bei den Kelten Faeries genannt, sind von sehr schöner und sehr kleiner Gestalt. So wie ätherische Schmetterlinge leben sie in der Nähe der Blumen und in deren Blütenkronen. (…) Mit ihren ständigen Bewegungen gleichen sie den Bienen, wenn sie an den Blumen nippen. Da sie besonders vital sind, besitzen sie große Heilkräfte, obwohl diese Tätigkeit sie sehr erschöpft und sogar den Tod für sie bedeuten kann. Ihr Arbeitsbereich erstreckt sich auch auf die Erzeugung des Blumenduftes. Blumen, die nicht duften, haben keine Elfen dieser Art. Einige ihrer Arten sind den Menschen sehr zugetan, vor allem den Kindern und jenen, die Unschuld und künstlerisches Empfindungsvermögen besitzen. (…) Sie stellen die personifizierte engelhafte Anmut dar.“

Nach etwa 1,5 Stunden erreichen wir die Duxeralm (897 m). Hier machen wir erst mal eine kleine Rast in den gemütlichen Tiroler Liegestühlen. Der Schneerosenweg beginnt an der Duxeralm und führt in Serpentinen den Berg hoch. Den Weg und die Hänge säumen Tausende von Schneerosen: Viele stehen in kleinen Gruppen  oder Nestern zusammen, manche aber auch einzeln für sich. Mit ihren schönen, großen Kelchen schauen sie Richtung Wanderer, so als wollten sie ihn in ihrem Reich begrüßen oder ihm den Weg weisen.

„Blumen sind die Liebesgedanken der Natur.“
Bettina von Arnim

Oben auf dem Gipfel beim Weinbergerhaus (1.272 m) ist die Aussicht ins Inntal und die Tiroler Bergwelt grandios. Als wir nach rund vier Stunden wieder unten in Kufstein ankommen, joggen junge Damen in fescher Kleidung an uns vorbei und den Berg hoch. Moderne „Elfen“, die ihren (Feier-)Abend auf dem Elfenhainweg sportlich ausklingen lassen.

Tour 2: Von Thiersee über die Kala Alm auf den Pendling

Thiersee – Schneeberg – Kala Alm – Pendling (ca. 4 Stunden, 600 Höhenmeter)

Wir fahren von Thiersee in Richtung Hinterthiersee die Bergstraße hoch bis zum Gasthaus Schneeberg (980 m) im Ortsteil Mitterland. Der Parkplatz ist an diesem Freitag-Mittag schon ziemlich voll, fürs Parken müssen wir 3 Euro zahlen, von denen wir abends 2 Euro für Essen und Trinken im Gasthaus abziehen dürfen. Wir gehen nicht die Forststraße, sondern den interessanteren Steig. Rund eine Stunde dauert der Aufstieg von Schneeberg bis zur Kala Alm auf 1.360 m. Eine Stunde, die es in sich hat: Die Berghänge sind übersät mit Schneerosen, eine Augenweide. Ich bin überwältigt von der Blütenpracht und kann mich nicht satt sehen.

Nach einem Drink auf der Terrasse der Kala Alm (1.360 m) – hier öffnen sich sogar die Türe automatisch und die Fotos auf der Toilette sind echt originell – wandern wir weiter auf den Pendlinggipfel (1.563 m). Ein Segelflugzeug fliegt ganz nah an uns vorbei und vollführt seine Kunststücke am wolkenlos blauen Himmel. Der Ausblick ins Inntal und zum Kaisergebirge ist fantastisch. Der Pendling ist übrigens der Hausberg von Kufstein (499 m) und gehört – trotz seiner Nähe zum Kaisergebirge – bereits zu den Brandenberger Alpen.

Wieder unten am Parkplatz Schneeberg gibt es im Gasthaus eine leckere Bärlauchsuppe. Bärlauch, der wilde Bruder des Knoblauchs, ist ein Kraut, das auch zu dieser frühen Jahreszeit wächst, und im Unterschied zur giftigen Schneerose genießbar ist. Aber Vorsicht beim Sammeln: Bärlauch hat ebenso giftige Doppelgänger!

„Alle Dinge sind Gift, nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“
Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus (1493 – 1541), deutscher Arzt und Reformator der Medizin

Schneerosen sind giftig, in der Homöopathie und Anthroposophie jedoch heilsam

Auf der Terrasse des Weinbergerhauses auf 1.272 Meter Höhe im Kaisergebirge

Der wissenschaftliche Name der weiß blühenden Schneerose lautet paradoxerweise „Helleborus niger“, schwarze Nieswurz, wegen ihrer schwarzen Wurzeln. Er setzt sich aus den griechischen Begriffen „helein“ für töten und „bora“ für Futter zusammen. Helleborin ist ein Wirkstoffgemisch, das in entsprechender Konzentration stark giftig wirken kann. Die Gallier tauchten die Spitzen ihrer Jagdwaffen in Nieswurz-Auszug, weil das Fleisch des erlegten Wildes dadurch mürber und zarter wurde. Die Einstichstelle musste vor dem Verzehr herausgeschnitten werden.

Die Christrose spielte bei den wichtigsten Ärzten in der Medizingeschichte des Abendlandes eine große Rolle. Schon Hippokrates, mehr noch Paracelsus und Samuel Hahnemann rühmten ihre Wirkung. Die heutige Homöopathie verwendet Helleborus niger in einer potenzierten Form, um unter anderem geschwächte Nieren zu unterstützen und das Herz zu stärken.

Die Heilkraft der Christrose

Es heißt, dass Menschen sich zu bestimmten Pflanzen hingezogen fühlen, weil es Seelenverwandtschaften zwischen Mensch und Pflanze gibt. Vielleicht sollte ich mal die homöopathischen Tropfen der Christrose einnehmen und schauen, was passiert. Vielleicht gibt es über meine Faszination für diese Pflanzenart hinaus noch etwas, das mir bisher verborgen blieb.

Bei meinen Recherchen stoße ich auf das wunderbare Buch „Die Heilkraft der Christrose“ von Dr. Johannes Wilkens, Ärztlicher Direktor der Alexander von Humboldt Klinik in Bad Steben. Während ich es lese, staune ich mehr und mehr, was in dieser so zarten und doch robusten Pflanze alles steckt, was sie zu lindern oder sogar zu heilen vermag. Dr. Wilkens erwähnt, dass schon Paracelsus in seiner Kräuterabhandlung „Herbarius“ die Blätter der schwarzen Christrose als Prophylaktikum vor einer Demenz-Erkrankung würdigte. Paracelsus empfahl eine Milchzucker-Verreibung aus den jungen Blättern. Wäre mir das schon früher bekannt gewesen, hätte ich meinem an Demenz erkrankten Vater vielleicht sogar helfen können. Das Buch ist aber erst 2014, zwei Jahre nach seinem Tod, erschienen.

„Es wäre sehr zu wünschen, dass sich eine Forschungsgruppe mit diesem Thema intensiv neu befasst. Dies umso mehr, als es bereits ein Medikament für die Behandlung des Morbus Alzheimer gibt, das aus einem jahreszeitlich verwandten Gewächs, dem Schneeglöckchen, hergestellt wird…“
Dr. Johannes Wilkens, Die Heilkraft der Christrose, Seite 20

Es grünt die Hoffnung

So bleibt mir nur, mich an den Tiroler Schneerosen zu erfreuen. Sie im Frühjahr in der freien Natur und so nah zu München wild wachsen und blühen zu sehen, macht mich glücklich. Sie sind Himmelwärts-Boten zu meinem ungekrönten Schneerosen-König. Durch sie bin ich ihm nahe und muss kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn ich ihm keine Christrosen ans Grab stellen kann, weil es zu weit weg ist. Vielleicht war er es auch, der mir diese Information über die Naturfreunde zukommen ließ. Ich glaube an solche Dinge zwischen Himmel und Erde, zwischen Diesseits und Jenseits. Felix, ein alter und schon viel früher verstorbener Freund, pflegte zu sagen: „Über jeglicher Empfindung schwebt die geistige Verbindung.“

6 Gedanken zu „Schneerosenblüte im Kufsteinerland“

  1. Hallo Jutta, dein Artikel ist eine schöne Erinnerung an unsere Wanderung hoch zum Pendling. War wirklich toll, wie es ringsum wimmelte von Schneerosen und anderen Frühlingsblumen. Es ist tatsächlich eine besondere Zeit – an manchen Stellen noch mit Resten von Schnee, der die Berge von weitem besonders ausdrucksstark macht. Sehr poetisch, wie du die Atmosphäre einfängst. – Mein Vater hieß übrigens auch Eugen.

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  2. Hallo Jutta, ich bin mir sicher, du wurdest zu den Schneerosen ins Kufsteinerland geführt. Das sollte einfach so sein. Die Collage für deinen Vater (meinen Onkel) sieht richtig edel aus, du hattest einfach das Bedürfnis, ihm etwas Schönes zu schenken und das ist dir gelungen. Ich spüre richtig, wie gern du deinen Vater hast – ja, er ist tief in deinem Herzen. Und Gefühle darf man auch zeigen. Er freut sich sicher sehr darüber.

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  3. Der einladende Artikel ist Euch mit all den zauberhaften Blütenfrühlingsfotos wunderschön gelungen.
    Wären wir nicht so weit entfernt, würden wir uns sofort auf den Weg machen, um diese herrliche Natur zu genießen.

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