Bayern: Buchheim Museum

Buchheim „Museum der Phantasie“ in Bernried am Starnberger See                                                   Foto: Winfried Englisch


Von Nord- nach Süddeutschland und zurück:

Wenn Kunst-Sammlungen auf Reisen gehen

Was hat ein Bericht über eine Ausstellung auf einer Reiseseite zu suchen? Dafür gibt es mindestens zwei gute Gründe: Erstens liegt das Buchheim Museum sehr idyllisch in Bernried am schönen Starnberger See, rund 45 Kilometer südlich von München, und eignet sich bestens für einen Tagesausflug nicht nur für Münchner, die mal Seeluft schnuppern und den Alpenblick genießen wollen. Zweitens kann man hier noch bis zum 5. Juli 2015 die Ausstellung Expressionimus² mit über 200 Werken aus den Sammlungen zweier berühmter Persönlichkeiten bewundern: Henri Nannen, Verleger und Gründer der Zeitschrift „Stern”, und Lothar-Günther Buchheim, Autor des Weltbestsellers „Das Boot”.

Buchheim x Nannen = Expressionismus²

Nannen und Buchheim waren leidenschaftliche Sammler mit Schwerpunkt auf dem deutschen Expressionismus und haben dafür eigene Museen gegründet: Henri Nannen die Kunsthalle Emden in Ostfriesland und Buchheim das nach ihm benannte Museum der Phantasie in Oberbayern. 106 Exponate hat die Kunsthalle Emden, die Nannen 1986 gründete, nun 922 Kilometer südwärts ins Buchheim Museum ausgeliehen. Natürlich nicht ohne Gegenleistung. Die Sammlung Buchheim, 2001 gegründet, wird vom 26. September 2015 bis zum 17. Januar 2016 in der Kunsthalle Emden gastieren. So kommt zusammen, was zusammen passt.

Foto links: Henri Nannen in der Kunsthalle Emden. Foto rechts: Lothar-Günther Buchheim in seinem Esszimmer in Feldafing.

Foto: Buchheim Stiftung

Der gebürtige Emder Henri Nannen (1913-1996) studierte in München Kunstgeschichte, der in Weimar geborene und in Chemnitz aufgewachsene Lothar-Günther Buchheim (1918-2007) ebenfalls in München Kunst. Beide interessierten sich schon früh für jene Strömungen der klassischen Moderne, die als „entartet” verfemt werden sollten; beide arrangierten sich aber auch mit dem  nationalsozialistischen Regime. Im Zweiten Weltkrieg war Nannen Kriegsberichterstatter bei der Luftwaffe, während Buchheim in gleicher Funktion auf und unter dem Wasser bei der Marine unterwegs war.

Nannen verfasste von 1937 bis 1939 Kunstkritiken, die er später selbst als „sehr NS-angehaucht” bezeichnete. Buchheim beteiligte sich als Marinemaler mit Porträts von Offizieren an der nationalsozialistischen „Großen deutschen Kunstausstellung” im „Haus der Deutschen Kunst” in München 1943.

„Ich habe immer nur gesammelt, was Lust in mir erweckte”

Nach dem Krieg wurden beide berühmt und wohlhabend. Es war ihnen ein Anliegen, dem unter dem Nationalsozialismus verfemten deutschen Expressionismus und nach Geringschätzung durch die Kunstkritik in der Nachkriegszeit wieder zu dem Rang zu verhelfen, der ihm kunsthistorisch gebührt. Dabei hielten sie sich an keine Systematik, sie sammelten nicht museal, sondern nur das, was ihnen persönlich gefiel. Nannen: „Ich habe immer nur gesammelt, was Lust in mir erweckte, oder was mich bis unter die Haut schmerzte, was mich freute, aber auch wütend machte. (…) Wie könnte Lust entstehen ohne den Rausch der Farbe, wie könnte etwas Gefühls- und Denkanstöße vermitteln, was nicht auch anstößig ist.” Und Buchheim: „Ich dachte eben weniger an steißtrommlerische Systematik als an ein Fest fürs Auge. Die Museumsbesucher wieder aktiv sehen lehren, ihnen Seherlebnisse verschaffen – darauf soll es mir mehr ankommen als auf Belehrung.” Über die Sammlung Buchheim sagte 1973 der Brücke-Maler Karl Schmidt-Rottluff : Sie ist „eine ganze Nationalgalerie” des deutschen Expressionismus.

 

Wie in dem Vorwort der für die Ausstellung erschienenen zwei Kataloge zu lesen ist, war das Verhältnis der beiden Museumsgründer zueinander geprägt von „heiter gelassenem, gegenseitigen Respekt”, gewürzt mit gelegentlichen Frotzeleien. So bezeichnete Buchheim Nannen in einem 1988 öffentlich ausgetragenen Schlagabtauschals als „Selbstillusionisten”  und Nannen Buchheim als „genialistisches Urvieh”. Nichtsdestotrotz besuchte Nannen 1993 mit seiner Frau die Buchheims zuhause in Feldafing.

„Wage es, Deinen eigenen Sinnen zu trauen”

Apropos Besuche: Für mich sind beide Ausstellungen ein Anlass, alte freundschaftliche Bande wieder zu beleben und endlich mal in den hohen Norden nach Emden zu reisen, um meinen alten Freund Folkert wiederzusehen. Der kehrte 1998 nach längerem Aufenthalt in München in seine alte ostfriesische Heimatstadt am Dollart zurück. Kunst beflügelt also nicht nur die Sinne nach dem Motto von Nannen und Buchheim „Wage es, Deinen eigenen Sinnen zu trauen”, sondern kann auch dazu motivieren, zu neuen Ufern – an den Starnberger See und/oder an die Nordsee – aufzubrechen.

Steg am Buchheim Museum mit Blick auf den Starnberger See                                                Foto: Winfried Englisch

Weitere Informationen

www.buchheimmuseum.de
www.bernried.de

Samstags ist Geniessertag mit Friesentee-Führung um 15 Uhr (außer 4. und 25. April 2015):
Als Hommage an den gebürtigen Emder Henri Nannen lädt das Buchheim Museum nach einer Führung durch die Ausstellung Expressionismus² zur „Teetied“. Dabei wird der frisch gebrühte Tee auf knisternde „Kluntje“ aufgegossen. Dann werden Sahnewölkchen eingeträufelt. Bei jedem Schluck wird der Tee ein bisschen süßer. Da alles unter drei Tassen als unhöflich gilt, ist jede Menge Zeit für „Klönschnack“.

Sonntags ist Familientag mit Offenem Atelier für Kinder ab 6 Jahren (14 bis 17 Uhr), auch Erwachsene sind willkommen.

Von Mai bis September können Sie mit dem Museumsschiff „Phantasie“ das Museum auf dem Wasserweg erreichen: mit einer Fahrt über den Starnberger See, die sich mit einem Spaziergang durch den herrlichen Park mit 600 bis 800 Jahre alten Eichen und den ursprünglich erhaltenen Ortskern von Bernried verbinden lässt.


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